Publik machen
40 Künstler:innen aus dem Bestand des Zentrums für Kunstausstellungen
"Wie ist der Kunstbestand des ifa in die Welt gekommen? Welche Kunst wurde wann von wem angekauft und was sagen uns diese Entscheidungen über die gesellschaftspolitischen Konditionen, Trends und Protagonist:innen der Zeit?"
Seit 2020 erarbeiten die ifa-Galerien in Berlin und Stuttgart mit der Ausstellungsreihe „Out of the Box“ dialogische Begegnungen zwischen zeitgenössischen Positionen und Werken aus der ifa-Kunstsammlung. Somit ist „Out of the Box“ wörtlich zu verstehen, die Werke aus der Sammlung werden aus ihrer Transportkiste geholt und Teil einer künstlerisch-kuratorischen Revision.
Die historischen Eigenheiten und Strukturen der Kunstsammlung und die spezifische Zusammenstellung durch die Übernahme des grafischen Konvoluts von über 10.000 Werken des Zentrums für Kunstausstellungen der DDR (ZfK) bilden den Ausgangspunkt für die hier präsentierten Ausstellungsprojekte. Seit Ende der 1990er Jahre liegen die Werke aus den vergangenen Ausstellungstätigkeiten der beiden Institute Seite an Seite in Stuttgart.
Künstlerisch-kuratorische Sammlungsrevisionen ermöglichen einen zeitgenössischen Zugang, stellen neue und kritische Fragen und ermöglichen unkonventionelle und humorvolle Einblicke in den Bestand.
Forschungs- und Ausstellungsprojekte
Auf der Agora: Publik machen
Die Online-Ausstellung Publik machen präsentiert 40 Positionen aus dem grafischen Bestand des ZfK. Die Sammlung beinhaltet Arbeiten auf Papier wie Aquarelle, Tusche- oder Handzeichnungen, Druckgrafiken in Form von Lithografien oder Radierungen, Kleinplastiken, Mappenwerke und Künstler:innenbücher.
Das Gros der ausgewählten künstlerischen Positionen – die in Ausstellungen des ZfK im In- und Ausland zu sehen waren – lassen sich einer Kunstszene zuordnen, die sowohl minimalistische, abstrakte, kritisch-realistische, neo-expressive, experimentelle sowie subversive Haltungen und Methoden entwickelte und anwandte. Aber auch realistische, figurative, eher volksnahe Sujets finden sich in der Zusammenstellung wieder. Damit führt die Auswahl vor Augen, dass Kunst in der DDR auf gemeinsamen kunsthistorischen Entwicklungen und Traditionen fußt, vielschichtig in die Gesellschaft hineinwirkte und mit systemübergreifenden Stilen verbunden sowie international vernetzt war.
Die Ausstellung ist im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Wüstenrot Stiftung entstanden und wurde von Susanne Weiß zusammengestellt. Sie basiert auf dem Status quo der Digitalisierung bis 2020, der circa ein Viertel des Konvoluts in der Datenbank abbildet.
In den ifa-Galerien in Berlin und Stuttgart: Spheres of Interest, Chains of Interest und Traces of Interest
2022 initiierte die ifa-Galerie Berlin das dreiteilige künstlerisch-kuratorische Forschungs- und Ausstellungsprojekt Spheres of Interest, Chains of Interest und Traces of Interest, in dem sich die Künstler:innen Isaac Chong Wai, Lizza May David, Wilhelm Klotzek, Ofri Lapid, Adrien Missika und Gitte Villesen mit den Schichten und Geschichten der ifa-Kunstsammlung auseinandersetzten. In den Ausstellungen reflektierten und kontextualisierten die Künstler:innen die Sammlungs- sowie Ausstellungspraxis des ifa und ermöglichten so auch neue Auseinandersetzungen mit dem deutsch-deutschen Kunstbestand.
"Dass der kühne Stilmix nicht ins Beliebige ausfranst, ist dem klugen kuratorischen Konzept und der gelungenen Gestaltung des interdisziplinären Ausstellungsparcours zu verdanken – sowie den kurzweiligen Texten mit Gedanken und Infos der Künstler:innen zu ihrem dialogischen Arbeitsprozess."
– Nolte, Michaela. "Schau in der Ifa-Galerie Berlin: Ein Vorbild für die Documenta“. Der Tagesspiegel Online, 27. Juli 2022. Tagesspiegel, www.tagesspiegel.de/kultur/ein-vorbild-fur-die-documenta-8150197.html.
Im Rahmen der Finissage von Chains of Interest fand die Veranstaltung Spurenlesen – Zugänge zur Geschichte und Aktualität des ifa-Kunstbestandes im Polygon des ifa in Berlin statt.
Tagung "Spurenlesen": Inka Gressel und Susanne Weiß. Foto: Victoria Tomaschko, 2023
Dort sprachen Nina Bingel über tourende Ausstellungspraxis, Maximilian Bauer über die Digitalisierung von 100 Werken aus dem Bestand des ZfK auf der digitalen Plattform Agora und Ellen Strittmatter über die Zukunft des ifa-Kunstbestands. Peter Hartmann und Hans-Jörg Schirmbeck sprachen mit Pauline Hohn (Art in Networks, TU Dresden/SPK) über ihre Arbeit als leitende Mitarbeiter des ZfK. Matthias Flügge und Matthias Winzen präsentierten ihre Zugriffe auf den ifa-Kunstbestand für die von ihnen kuratierte ifa-Ausstellung Weltreise. Außerdem berichteten die ifa-Beauftragten An Paenhuysen und Ulli Grötz über ihre Vermittlungsarbeit mit der ifa-Tourneeausstellung von Rosemarie Trockel.
Traces of Interest ist der dritte Teil der künstlerisch-kuratorischen Auseinandersetzung – die Ausstellung bringt ebenso kritische wie humorvolle Fragestellungen und Perspektiven zusammen. Sie berühren drängende Momente unserer Gegenwart und stellen kollektive Erinnerungen sowie neue Handlungsmomente heraus. Die Figur der Liegenden ist ein klassisches bildhauerisches Motiv. In der Ausstellung treffen drei "Liegende" aufeinander: eine Plastik von Heinrich Apel aus dem Bestand des ZfK, die nach über 30 Jahren zum ersten Mal wieder gezeigt wird, eine Holzfigur des Autodidakten Erich Bödeker aus der ifa-Tourneeausstellung Naive Kunst sowie eine Liegende, die genüsslich eine Zigarette raucht, von Wilhelm Klotzek.
„brüllen“, „fetzen“, „züchtigen“, „ritzen“
55 solcher Wörter hat Günther Uecker 1992 als Reaktion auf die rechtsradikalen Anschläge in Rostock-Lichtenhagen zusammengestellt. Silke Arning berichtete am 2. April 2024 für den SWR über die Ausstellung Traces of Interest in der ifa-Galerie Stuttgart.
Arning, Silke. "Ifa-Ausstellung Stuttgart: "Out of the Box. Traces of Interest"." SWR Kultur am Mittag. SWR Kultur, 2.4.2024, www.swr.de/swrkultur/kunst-und-ausstellung/ifa-ausstellung-stuttgart-out-of-the-box-traces-of-interest-100.html.
Länge: 4 min.
Auf Tournee: Weltreise (2013-2020)
2015 initiierte Elke aus dem Moore (Leiterin Abteilung Bildende Kunst von 2008 bis 2018) am ifa die forschungsbasierte Tourneeausstellung Weltreise. Die Kuratoren Matthias Flügge und Matthias Winzen untersuchten die einzigartige Sammlung über zwei Jahre und erzählen mit ihrer Zusammenstellung von mehr als 400 Werken aus dem Bestand deutsch-deutsche Kunstgeschichte neu.
"Die jeweilige Zeitgenossenschaft der für das ifa tätigen Kurator:innen hat die Substanz des Bestandes in besonderer Weise geprägt. So treffen sich individuelle 'Sichtungen' mit aus heutiger Perspektive deutlicher erkennbaren Entwicklungen."
Für die Weltreise sichteten die Kuratoren auch den Bestand des ZfK. Matthias Flügge stellt sich in seinem Text "Der deutsch-deutsche Kunstaustausch und das ifa" die Frage, wo die Gründe für die bis heute bestehenden Differenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung liegen. Er beschreibt, dass es nicht die Werke waren, die im Mittelpunkt standen, sondern die individuellen Biografien der Künstler:innen. Künstlerische Urteile entzündeten sich mehr oder weniger direkt an der Beziehung zum Staat. Nähe wie Ferne wurden über das Künstlerische hinaus als politische Haltungen erkannt und der Einfachheit halber mit Affirmation und Widerstand gleichgesetzt. Die in der DDR entstandene Kunst, die zuvor im Westen fast ausschließlich durch die ideologischen (und auch an Deviseneinkünften orientierten) Raster staatlicher Kunstexportpolitik wahrgenommen worden war, hatte es schwer, ihren Platz im europäischen Gefüge ästhetischer Praxis neu zu bestimmten. Leichter hatte es die nach dem Mauerbau geborene Generation, dort gab es Anschlussstellen, schließlich waren es ihre Kräfte, die den Doktrinen der DDR-offiziellen Kunst schon seit Mitte der 1980er Jahre eine radikale Absage erteilt hatten.
Flügge, Matthias. "Der deutsch-deutsche Kunstaustausch und das ifa", in: ifa, Elke aus dem Moore, Matthias Flügge und Matthias Winzen, (Hrsg.): Weltreise. Kunst aus Deutschland unterwegs. Werke aus dem Kunstbestand des ifa 1949–heute, Heidelberg Berlin 2013, S. 25–32.
Werkauswahl aus dem ZfK-Bestand für die Ausstellung Weltreise
Erste ifa-Ausstellungen mit Werken des ehemaligen ZfK-Kunstbestands
Frühe Ausstellungen des ifa, die sich mit den vom ZfK übernommenen Werken befassten, waren:
Gerhard Altenbourg. Arbeiten aus den Jahren 1947–1989 (1992–2005)
Hermann Glöckner. Werke 1909–1985 (1993–2006)
Michael Morgner (1993–2000)
Die Seite "Künstlerisch-kuratorische Forschung zur ifa-Kunstsammlung" wurde durch ein Kooperationsprojekt mit der Wüstenrot Stiftung ermöglicht. Zusammenstellung: Susanne Weiß (Kuratorin Kunstbestand, ifa) in Zusammenarbeit mit Tina Weingardt (Sammlungsmanagerin, ifa) und Paulinus Burger (wissenschaftliche Hilfskraft, ifa). Lektorat: Karolin Nedelmann, Übersetzung: Darrell Wilkins.
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