Michael Morgner

  • * 1942

Lebensdaten

  • Künstler:in

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Aufrecht schreitender Tausendsassa am südlichen Zonenrand

Der 1942 in Chemnitz (ehem. Karl-Marx-Stadt) geborene Grafiker, Maler, Bildhauer und Aktionskünstler gehört zu einer der letzten Vertreter einer ständig schwindenden Künstler:innengeneration aus Ostdeutschland: eine akzeptierte nonkonformistische Größe vor und nach dem Mauerfall, aber nie einer der Stars, welche die Branche wirklich braucht und hofiert.

Bald nach seinem Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig (1961– 66) wird der in die sozialistische Industrie- und Vorzeigestadt zurückgekehrte zusammen mit anderen Karl-Marx-Städter Künstler:innen die Galerie Oben gründen, einen der zeitweise wichtigsten nicht staatlichen Kunstorte in der DDR. Als Mitglied des künstlerischen Beirats der genossenschaftlich organisierten Galerie prägt Morgner das Programm und stellt dort mehrfach seine Werke aus. Diese konzentrieren sich trotz technischer Vielfalt von der Tuschezeichnung über serielle Grafiken, Latex-Malerei und etwa die selbst entwickelte Auswaschtechnik der Lavage um einen klaren, motivisch-thematischen Kern: Seit seiner Auseinandersetzung mit Ovids Metamorphosen für eine Grafikmappe (1972) geht es Morgner um die Stilisierung eines universalen Verwandlungsprinzips, dem alles Leben unterworfen ist. Ob in archaisch-abstrakten Zeichenkonstellationen oder menschlichen Figurationen, welche auf lineare Gerüste von Sehnen und Knochen reduziert und damit Sinnbilder psychischer Befindlichkeiten sind – Morgner erzählt in seiner Kunst gebetsmühlenartig von Aufbruch, Fernsein, Heimkehr und Tod. Trotz dieser zutiefst existenziellen, häufig religiös inspirierten (Leidens-)Themen ist Michael Morgner bekannt für seinen renitent-humorvollen Widerstandsgeist gegen jegliche Instrumentalisierung sowie gegen die Pseudointellektualisierung der Kunst.

Statt gläubigem Glotzen will er das Land mit Kunst wach lachen, so Morgner selbst. Diesen Humor hat er nicht nur im Umgang mit bis zu 140 Stasi-Spitzeln bewiesen, die es vor allem auf die 1977 von ihm mitbegründete avantgardistische Künstler:innengruppe und Produzentengalerie Clara Mosch abgesehen hatte, welche am Rand von Karl-Marx-Stadt den Raum des künstlerisch Sag- und Zeigbaren in der DDR auszuweiten versuchte. Das ist vor allem auch in den kollektiven Kunst-Aktionen in der sozialistischen Provinz zu spüren, die spielerisch-performativ Tabuthemen wie Umweltzerstörung aufgreifen und die Morgner immer wieder für spektakuläre Selbstinszenierungen nutzt: Neben der Aktion Kreuz legen auf Rügen ist die Seeüberschreitung bei Gallentin Höhepunkt in Morgners Existenz als Aktionskünstler. Diese Foto- und Video-Performance, die Morgner später malerisch aufgreifen und zu einer Ikone intermedialer Kunst der DDR machen wird, changiert zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Hoch- und Popkultur.

Gekonnt switcht Morgner auch zwischen offizieller und nicht-offizieller Kunstszene. So erhält er öffentliche Aufträge, etwa für das Außenwandbild Gießprozeß – der arbeitende Mensch in unserer Gesellschaft oder das Environment Die Nacht für das Staatstheater Dresden. Der mehrfache Vater darf sowohl ins sozialistische als auch ins westliche Ausland reisen und dort ausstellen.

Trotz dieser Vorzüge tritt der bekennende Gegner der sozial-realistischen Kunstdoktrin 1984 aus dem Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler aus und verweigert 1988 die Teilnahme an der 10. Kunstausstellung der DDR. Auch mit bzw. nach der Wende setzt Morgner die Arbeit an seinen symbolischen Figurationen fort, neuerdings in großformatigen Mixed-Media-Collagen und Tafelbildern. Nachdem er seinen Schreitenden erfolglos der Bürgerrechtsvereinigung Neues Forum als Signet angeboten hat, lässt er ihn überlebensgroß als Skulptur gießen und wird so noch zum Bildhauer.

Auch wenn Michael Morgner seit 1989 auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten ist, er 2023 das Bundesverdienstkreuz bekommt und er zweifellos zu den wesentlichen Vertretern seiner Generation gehört, so fühlt sich Michael Morgner benachteiligt. Eine wirkliche Wiedervereinigung hätte unter den Künstler:innen gerade in seiner Altersgruppe nie wirklich stattgefunden.

Text: Sylvie Kürsten

Werke von Michael Morgner

Tourneeausstellung

Publik machen: 40 Künstler:innen aus dem Bestand des Zentrums fürs Kunstausstellungen der DDR

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