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Notorische Grenzüberschreiterin und Szene-Strippenzieherin
Karla Woisnitza muss man als eine der wichtigsten Strippenzieherinnen der nonkonformen Szene der DDR bezeichnen, auch wenn die kleine rebellische Frau eher im Hintergrund und vielen bis heute unbekannt geblieben ist. Schon als 17-Jährige von ihrer Kunst-Mutter Erika Stürmer-Alex in einem alternativen Kunstzirkel bei Berlin-Rüdersdorf für einen experimentellen Kunstbegriff sensibilisiert und zur unkonventionelle Zusammenführung von Genres und Materialien inspiriert, bleibt Offenheit und Austausch die Konstante in dem als grenzenlos zu bezeichnenden Werk Woisnitzas. Es reicht von Radierungen und Tuschzeichnungen mit archaischem Symbolgehalt über humorvoll-heutige Material-Collagen bis hin zu Installationen und Environments voller Brisanz und kritischem Potenzial.
Nach einem Szenenbild-Volontariat in Ost-Berlin und einer Bühnenbild-Assistenz in Halle (Saale), beginnt Karla Woisnitza 1973 ein fünfjähriges Bühnen- und Kostümbildstudium beim künstlerischen Freigeist Günter Hornig an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, von der sie sich Mitte 1978 wegen eines nicht gestatteten Fachrichtungswechsel kurz vor dem Diplom exmatrikulieren lässt. Trotzdem wird Karla Woisnitza als junges Talent im Verband Bildender Künstler aufgenommen, hat also Aufträge und Ausstellungen in der sogenannten ersten Öffentlichkeit der DDR und bewegt sich parallel dazu in Szenen und Produktionskontexten der zweiten Öffentlichkeit – sowohl in Berlin wie auch in Dresden.
Nach ihrem Umzug nach Berlin 1980 arbeitet Woisnitza wegen der Betreuung ihrer beiden Kinder von zu Hause aus, organisiert aber in ihrem ungenutzten Atelier Verkaufsausstellungen und Künstlerfeste. Überhaupt werden grenzübergreifende Netzwerke und Gemeinschaftsaktionen zum Steckenpferd der vielfach bespitzelten und behinderten Künstlerin: Karla Woisnitza ist Mitinitiatorin der legendären Türen-Ausstellung 1979 im Dresdner Leonhardi-Museum. 1982 gehört sie der Arbeitsgruppe nonkonformer KünstlerInnen an, die mit dem Frühstück im Freien einen sinnlich-widerständigen Gegenentwurf zur Auftragskunst der IX. Kunstausstellung im Albertinum wagt. Wohl auch wegen solcher Beteiligungen hat das Archiv der Akademie der Künste 2005 Teile von Woisnitzas Schriftgut übernommen, unter anderem illustrierte Tagebücher, welche einen mehr als haptischen Einblick in die alternative Kunstszene der DDR geben.
Darin ist auch zu erfahren von Woisnitzas szenischen Lesungen etwa von Ilse Aichingers Spiegelgeschichte oder Ton-Bildcollagen wie The last Waltz, in denen sie sich mit performativen Mitteln gegen die Gesellschaft auflehnt, vorrangig gegen ihre patriarchalischen Strukturen. Woisnitzas Face Painting Action, in der 1978 die Gesichter von befreundeten Künstler:innen wie Cornelia Schleime oder Christine Schlegel zur Leinwand für abstrakte geometrische Bemalungen werden, ist laut Angelika Richter die vermeintlich erste selbst organisiere Körperaktion von einer weiblichen Künstlergruppe in der DDR[1]. Überhaupt ist Woisnitzas Werk inspiriert und dominiert von Frauenfiguren aus der Antike sowie der zeitgenössischen Literatur. Wohl auch deswegen fehlt sie auf keiner der zahlreichen feministischen Überblicksschauen nach 1989.[2] Während die Kritik dabei gern den Terminus „Frauenkunst" bemüht, zieht Woisnitza es vor, von Zartheit zu sprechen. Auch mehrere Jahrzehnte nach der Wende bleibt sich diese Frau, die schon zu DDR-Zeiten an der vom Staat verordneten Nutzbezogenheit der Kunst litt, ihren Überzeugungen treu: Selbst in einer Zeit, da die Ideen frei zu wählen sind, schafft Karla Woisnitza weiterhin intuitive Werke, die ohne feste Anbindung an ein Konzept im Raum schweben, zwischen dem materialen High & Low und dem Nebeneinander von abstrakter und figürlicher Formensprache, sich jeder marktgängigen Etikettierung verweigernd
Text: Sylvie Kürsten
[1] Richter, Angelika: Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR, 2019, S.199.
[2] U.a. „Medea Muckt auf. Radikale Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang“, Dresden 2018/2019; „Worin unsere Stärke besteht. 50 Künstlerinnen aus der DDR “, Berlin 2022.
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