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Ein Fremder unter Fremden
Werner Tübke zeichnete sich selbst 1984 als einen hageren, vergeistigten, stolzen, wissenden, aber auch verunsicherten Menschen. Zehn Jahre zuvor war er neugierig durch den Kaukasus geritten, eine faszinierende, fremde Welt. Auch dort hatte er sich gezeichnet, als Reiter in der Einsamkeit des Gebirges. Wie auch schon 1961, als er ein ganzes Jahr lang die Sowjetunion, auch den Kaukasus bereiste. Er schwärmte noch Jahrzehnte später, schrieb 1995 an den Kunstkritiker Eduard Beaucamp: „Der Kontakt mit russischen Menschen in Dörfern in Russland, im Kaukasus, in Zentralasien an der chinesischen Grenze hat mich entscheidend geprägt. Fernweh, Heimatlosigkeit, Gottsuche, Armut, schwarze Bösartigkeit, feste Familienbindungen durch Generationen, perfekte euroasiatische Hochbildung und selbstverständliche Sprachkundigkeit – das ist schon etwas.“
1961 hatte Werner Tübke bereits turbulente Jahre hinter sich. 1929 als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren, hatte er bereits ab 1940 privaten Zeichenunterricht genossen, war 1945/46 für einige Monate verhaftet, weil er zu Unrecht verdächtigt wurde, einen Anschlag auf sowjetische Soldaten verübt zu haben. Er studierte zunächst Malerei in Leipzig, später Kunsterziehung in Greifswald, war 1956/57 wissenschaftlicher Oberassistent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wurde aus kunstpolitischen Gründen entlassen, 1961 wieder eingestellt, machte mit großen Gemälden nachdrücklich auf sich aufmerksam. Sein metaphernreicher, altmeisterlicher Stil mit vielen historischen Bezügen, geschult an den Malern der italienischen Renaissance, wurde zwar offiziell häufig kritisiert, zumal er sich nicht leicht politisch vereinnahmen ließ, hatte aber auch im Ausland großen Erfolg. So gehörte Werner Tübke zu den ersten Künstler:innen der DDR, die auf der Documenta ausstellen durften.
Tübkes teils figurenreiche, magisch-surrealistische Bildinszenierungen jener Zeit – wie etwa die Folterszene aus dem Jahr 1976 – deuten schon auf spätere Werke wie das gewaltige Panoramagemälde zur „Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“ zur Erinnerung an die Schlacht bei Frankenhausen 1525 im Deutschen Bauernkrieg. Werner Tübke und seine Helfer:innen arbeiteten von 1979 bis 1987 an dem 14 mal 123 Meter großen Bild mit seinen etwa 3000 Figuren, darunter der Maler selbst als Harlekin. Später, 1989, wird Werner Tübke in seinen Erinnerungen an Bad Frankenhausen schreiben: „Ich möchte es eine zutiefst demokratische Position des Künstlers nennen: Er sollte an der Seite der Unterdrückten, Zukurzgekommenen, Ausgesetzten und Einsitzenden, der Kranken an Leib und Seele, der Verfolgten, Gequälten, der Einsamen, Müden, Hungernden, Armen, Gefolterten sein … Weltweit ist so viel Elend, Mangel und Perspektivlosigkeit, Sinnlosigkeit, auch, was wir immer wussten, zwischen Brest und Wladiwostok, Nowaja Semlja und Samarkand. … Unsere Arbeit sollte vom Elend des Lebens reden, Schicksale bildhaft festmachen.“
Seinen Bildern ist diese Nähe zu den Verdammten der Erde nicht immer anzusehen, er ist ihnen eher fremd geblieben, weil er bei Ablehnung der Moderne, bei aller Verehrung der figürlich-gegenständlichen, altmeisterlichen Malerei dem Leben aus Blut, Schweiß und Tränen fremd blieb. Es ist, als malte er nie für die, auf deren Seite er stehen wollte, sondern immer für sich selbst und für die Eliten, auf deren Seite er sich selbst sah, deren Zuspruch wie Kritik er ernst nahm. So ist Werner Tübke wohl ein Fremder unter Fremder geblieben, ein genialischer Maler auf einer aristokratischen Insel im selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat DDR. Er reflektierte dies nach der Wende unter anderem in dem Bild „Der alte Narr ist tot“.
Werner Tübke starb am 27. Mai 2004 in Leipzig.
Text: Matthias Zwarg
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