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Humanistische Holzschnitzerin und besänftigte Expressionistin
Die im polnischen Hinterpommern geborene Helena Scigala wird 1965 in einem Buch über junge bildende Künstler:innen in der DDR als eine von 25 Positionen aufgeführt, die neben Malern wie Walter Womacka oder Bildhauern wie Werner Stötzer die ostdeutsche Nachkriegskunst maßgeblich prägen[1]. Zu dieser Zeit erlebt die Berliner Grafikerin ihre fruchtbarsten Schaffensjahre. Abgesehen von Einzelausstellungen ist Scigala die einzige Frau, die neben 14 männlichen Kollegen das grafische Schaffen der DDR auf der internationalen Leistungsschau IBA Leipzig 1965 repräsentiert. Mit ihrem Holzschnitt-Zyklus über den Tropenarzt Albert Schweitzer etabliert sich die seit 1954 kontinuierlich produzierende Künstlerin als eine der bedeutendsten Holzschneiderinnen der DDR. Gleichzeitig bekennt sie sich dabei zu ihrer humanistischen Weltsicht, die Scigala seit 1959 durch Arbeiten für Verlage der christlichen Blockpartei CDU manifestiert und 1972 durch ihren offiziellen Parteibeitritt unterstreicht. Ihr eindringliches und kompromissloses Werk wird „in der Tradition des späten, im Ausdruck besänftigten Expressionismus“[2] gesehen. Nicht laut, aber stark, so seien Scigalas Menschendarstellungen, die stets aufs Wesentliche reduziert und zum Allgemeingültigen gesteigert sind.
Immer wieder findet sich das Thema „Mutter und Kind“ in dem 30-jährigen Oeuvre von Scigala, die als Sechsjährige von ihren besitzlosen Eltern in ein evangelisches Waisenhaus in Berlin-Pankow gegeben wird und unmittelbar nach ihrem Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (Berlin Ost, 1947– 50) sowie der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg (Berlin West, 1949– 51) alleinerziehende Mutter eines Sohnes ist.
Unverkennbar ist dabei Scigalas Verehrung für Käthe Kollwitz, mit der sie eine „Intensität mütterlich engagierten Empfindens und ihre energische Parteinahme“[3] teilt. Scigalas klar konturierte Grafiken zieren unzählige DDR-Buchcover, ihr Anne-Frank-Porträt dürfte DDR-Siebtklässlern bekannt sein. Auch ihre reliefartig geschnitten Folklore-Szenen für den seinerzeit längsten Holzfries am Bau des sowjetischen Spezialitätenrestaurants Baikal ist Teil Ost-Berliner Erinnerungen. Doch wirklich Karriere hat die Zeit ihres Lebens freischaffende, sensible und bescheidene Künstlerin nicht gemacht. Auch wenn ihr Professor und Mentor Arno Mohr beteuert, dass „der Grafikernachwuchs der DDR, dem auch Helena Scigala angehört, in seinen Arbeiten eine künstlerische Qualität erreicht hat, der die westdeutschen Künstler der gleichen Altersstufe nichts Entsprechendes entgegenzusetzen haben“[4].
Erst 1972 wird die als eltern- sowie staatenlos geführte Helena Scigala auf Bestreben des Verbandes Bildender Künstler in der DDR vollends als Bürgerin der Republik anerkannt. Trotz Erreichen des Rentenalters 1981, trotz körperlicher Beschwerden, die teils von ihrer Trümmerfrauenarbeit herrühren, arbeitet Scigala gegen die Altersarmut an. Allerdings ohne nennenswerten Erfolg. 1998 verstirbt die Frau, deren Thema stets die Schwachen waren, im Alter von 77 Jahren. Sie gehört zu den „lost women“[5] der Kunst, wie Martin Scigala, Sohn der Grafikerin meint. Doch seit einigen Jahren kümmert er sich als Nachlassverwalter um das Vermächtnis dieser Frau, die sich mit ihren komplexeren Farbholzschnitten ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Künstlerschaft der DDR erarbeitet hat. Gleichzeitig strebt er eine Gruppenbiografie des Pankower Zirkels des Verbands Bildender Künstler an, den Helena Scigala maßgeblich mitgeprägt und dessen Netzwerk trotz allem auch ihr immer wieder Vorteile gebracht hat.
Text: Sylvie Kürsten
[1] Hütt, Wolfgang: Junge bildende Künstler der DDR : Skizzen zur Situation der Kunst in unserer Zeit, Leipzig 1965.
[2] Lang, Lothar: Künstlerinnen, in: Das Magazin, März 1976, S. 53-58.
[3] Katalogtext zu einer Ausstellung am Berliner Fernsehturm 1983.
[4] Neues Deutschland, 1959.
Hinter diesen Begriffen verbergen sich viele weitere Werke