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Der leise Ästhet
„Niemeyers Begabung für die Farbe und ihre Relationen zueinander, seine Sensibilität für die Tonwerte, seine Sicherheit im Bildaufbau und nicht zuletzt seine Gestaltungskraft haben eine hohe Vollendung erreicht“, lobte Hans Jüchser den Malerkollegen Otto Niemeyer-Holstein 1966. Damals stand der Künstler im Zenit seines Schaffens und hatte seinen Platz in der Kunst gefunden.
Geboren am 11. Mai 1896 in Kiel in eine weltoffene, diskussionsfreudige Familie, meldete sich Niemeyer-Holstein nach der Schulzeit freiwillig zum Militärdienst, wurde verletzt und reiste 1916 zur Erholung in die Schweiz. Dort begann er intensiv zu malen und zu zeichnen. Der Schriftsteller Werner von der Schulenburg führte ihn in die Künstlerkreise in Ascona ein, er lernte unter anderem Hans Arp, Paul Klee und Alexej Jawlensky kennen, „schicksalsbestimmende“ Begegnungen, wie er später sagen wird. Niemeyer-Holstein reiste oft in den Süden, nach Italien und Südfrankreich, aber auch immer wieder in seine Heimat Schleswig-Holstein. Der Norden, die Landschaften am Meer, blieben neben Selbstporträts und später auch Aktmotiven die Hauptgegenstände seiner Malerei. In den 1920er-Jahren fand Otto Niemeyer-Holstein zu seinem eigenen Stil. Anders als die Vertreter:innen der Neuen Sachlichkeit betonte Niemeyer-Holstein das malerische gegenüber dem zeichnerischen Element in seinen Bildern. „Die Dinge wirken bei geringer perspektivischer Tiefe, in duftig zarten Tönen gemalt, beinahe immateriell und poetisch überhöht“, schreibt die Kunsthistorikerin Ulrike Görner 1974 über die Bilder jener Zeit, die in Berlin und im Ausland ausgestellt wurden.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 veränderte das Leben des Künstlers. Seine Bilder wurden als „entartet“ diffamiert, Otto Niemeyer-Holstein zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, lebte und arbeitete zunächst provisorisch, später dauerhaft zwischen Koserow und Zempin auf Usedom, zum Teil in einem ausrangierten S-Bahnwagen, der später umbaut wird und den er „Lüttenort“ nennt. Mit seinem Segelschiff unternahm er einige Reisen nach Skandinavien.
Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat Niemeyer-Holstein wieder an die Öffentlichkeit. Seine Bilder beriefen sich nun noch stärker auf die Tradition des französischen Impressionismus und eine ganz eigene Innerlichkeit, für die ihn Künstlerkolleg:innen wie Publikum schätzten. Noch immer war der „Käpt‘n“, wie er genannt wurde, manchmal auf Reisen, unter anderem 1960 mit einem Motorfrachtschiff durch das Mittelmeer, den Suezkanal, den Indischen Ozean bis nach China. Ostseelandschaften, vor allem im touristenarmen Winter, Alltagsgegenstände, sein engstes Umfeld und Porträts blieben seine bevorzugten Motive. Davon zeugen auch die Arbeiten Lotsendampfer im Chinesischen Meer (1960), Im Garten Lüttenort (1978), Schneeverwehung vor dem Tabu (1979) und das „Selbst“-Porträt aus dem Jahr 1976. Otto Niemeyer-Holstein wurde hochgeachtet – für seine Konsequenz, mit der er etwa die Zustimmung zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 verweigerte, und für seine sensible Kunst, die, so der Bildhauer Fritz Cremer, „eines der wenigen dauerhaften und lebendigen Bindeglieder einer Tradition [ist], die echte Werte der Malerei hinüberträgt in unsere Zeit“.
Otto Niemeyer-Holstein starb am 20. Februar 1984 in Koserow. Er verfügte, dass sein Atelier Lüttenort unverändert bleibt. Heute ist es ein beliebtes Museum auf der Insel Usedom.
Text: Matthias Zwarg
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