Lebensdaten
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Stadt, Land, Mensch
Sofort ist man in dem Blick gefangen, mit dem die Frau auf Eva Vents Aquatinta uns Betrachtende anschaut. Die Struktur der Ätzung hinterlässt gleichsam die Spuren gelebten Lebens in diesem Porträt, macht es lebendig und lesbar wie eine Landschaft, die sich aus dem dunklen Nichts entfaltet und ihm trotzt. Die 1975–1976 entstandene Radierungsserie Jüdische Frauen aus dem Altersheim der Jüdischen Gemeinde Pankow bezeugt, wie virtuos die Künstlerin bereits die druckgrafische Technik beherrscht, die sie erst 1974 begann, sich anzueignen. 1977 führt Vent mit den Grafiken zum Frauengefängnis Barnimstraße das Thema der Frauenschicksale fort. In der ausweglosen Dunkelheit des Blattes und der Zelle werden wir einer hell herausgearbeiteten Figur gewahr: Die an einem Tisch Sitzende schaut von einer Schrift auf und uns Betrachtende an. Sofort möchte man in dieser Person Rosa Luxemburg erkennen, die 1915/1916 Im Weibergefängnis, so der Titel des Blattes inhaftiert war.
In einem weiteren Blatt erinnert Eva Vent an die Sprengung des der Haftanstalt. In dieser fast abstrakten Grafik sieht man vor einem hellen Himmel Gebäudeteile bersten, sich in eine wogende dunkle Sturmflut verwandeln, aus deren Mitte sich eine den Unbilden trotzende weiße Frauengestalt erhebt – eine Reminiszenz an Luxemburg und all jene zwischen 1933 und 1945 dort inhaftierten Gegnerinnen des Nationalsozialismus, deren Vermächtnis und Freiheitsgedanken die Kerker und Mauern, auch jene in den Köpfen bis heute überdauern und überwinden.
Eva Vent, 1933 in Passenheim, heute Pasym, Polen geboren, studierte nach einer Schneiderlehre in Rudolstadt von 1953 bis 1954 an der Fachschule für angewandte Kunst Heiligendamm und anschließend an der Fachschule für Textil und Mode in Berlin. Von 1956 bis 1961 arbeitete sie als Zeichnerin am Institut für Bekleidungskultur Berlin. Seit 1962 ist sie als freischaffende Künstlerin in Berlin tätig und war in den 1970er- und 1980er-Jahren Zirkelleiterin für Grafik.
Studienreisen in den 1980er-Jahren nach Paris, Georgien, Armenien und in die Niederlande hinterließen neue, tiefe Eindrücke, die sich in Eva Vents Werk niederschlugen, etwa in den großen Leinwänden zu den kaukasischen Blumenverkäufer:innen (1987). Als ihre künstlerischen Vorbilder benennt sie selbst Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker, Camille Claudel und Charlotte E. Pauly. In deren Tradition entstehen Vents eindrückliche, in Öl gemalte Landschaftsbilder und die Stadtlandschaften – gänzlich menschenleer, aber lebendig durch ihren ungezwungenen und zugleich sicheren Umgang mit Form, Perspektive und Duktus. Wie in den Radierungen der Hell-Dunkel-Kontrast, wird in den Gemälden der sparsame Einsatz von leuchtenden Farben zum narrativen Element.
Ohne je künstlerische Moden zu bedienen, hat sich Eva Vent in immer neuen Techniken probiert – davon zeugen auch die Terrakotta-Figuren der 1990er-Jahre oder die großformatigen, in Holz geschnittenen Stadtlandschaften der 2010er-Jahre. Ihren Themen – die Landschaft, die Stadtlandschaft, vor allem aber der Mensch – blieb sie treu und auf der Spur, uns eine grafische oder malerische Spur ihrer Existenz hinterlassend und auch jene zu erinnern, die nicht im Rampenlicht der Geschichte stehen. Davon zeugt nicht zuletzt ihr eindrucksvolles Porträt In Memoriam Frau Meissner (1978) – eine Arbeiterin, die sie bei ihrem Studienaufenthalt im Volkseigenen Gut in Putgarten-Fernlüttkevitz wohl kennen und achten gelernt hatte.
Text: Anke Paula Böttcher
Hinter diesen Begriffen verbergen sich viele weitere Werke