Charlotte Elfriede Pauly

  • * 1886
  • † 1981

Lebensdaten

  • Künstler:in

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Faszinierende Weltenbummlerin mit Blick für die Poesie des Alltags

Auf einen Großteil der Ostberliner Künstler:innengeneration der 1960er-Jahre löste die kleine temperamentvolle Charlotte Pauly eine einzigartige Faszination aus, schließlich hatte sich die gut 70-jährige Künstlerin in den 1920ern und 1930ern mit Reisezeichnungen und –aquarellen aus Spanien, Marokko, Portugal sowie dem Mittelmeerraum einen Namen gemacht. „Gerade die Jüngeren, die kaum etwas gesehen hatten von der Welt, lernten durch die lebhaften Erzählungen der „großen Reisenden“ Charlotte Pauly eine geografische und geistige Welt kennen, die ihnen für lange Zeit verschossen bleiben sollte“[1], so schreibt der Malerfreund Dieter Goltzsche, der die zeitlebens Außenseiterin gebliebene Pauly neben dem DDR-Kunst-Kritiker Lothar Lang maßgeblich unterstützte.

Wie kaum eine andere deutsche Künstlerin des 20. Jahrhunderts hat Charlotte E. Pauly Erlebtes in ihren Werken reflektiert und mit ihren Werken eine exotische „Poesie des Alltäglichen“ kultiviert. Trotzdem gab es nicht wenige, die ihre schnörkellos-unmittelbaren, an Zille und Kollwitz erinnernden Porträtzeichnungen von Bauern und Fischern, ihre organisch-kubistischen Ölmalereien von spanischen Knaben mit Maultieren oder die zum Markenzeichen werdenden hell leuchtenden Mittelmeer-Aquarelle für unakademisch und dilettantisch hielten. Dabei war die 1886 im niederschlesischen Stampen geborene Künstlerin während und nach dem Ersten Weltkrieg eine der ersten promovierten Kunstgeschichtsabsolventinnen, hatte sowohl in Stuttgart, München und Berlin studiert und während mehrjährigen Spanien-Reisen bei dem Kubisten Daniel Vázquez Díaz ihre kristallin-vereinfachten Formen sowie eine trocken-edle Malweise gefunden. Doch offenbar musste es Reibungen mit einer Künstlerin geben, die sich für eine Humanität der Form einsetzte und die glaubte, schon 20 Jahre vor Gründung der DDR in den porträtierten Tziganes die wahren Sinnbilder des freien Menschen gefunden zu haben. Außerdem würden Aufträge, also bestellte Arbeiten ohne Interesse bei ihr stets fehlschlagen.

Zeitgenossen waren beeindruckt von Paulys menschlich-figurativen Motiven, die man auf selbst veranstalteten Atelierfesten zu sehen bekam. Ihre Wohnung in Friedrichshagen, die Wolf Biermann als „wildromantische Bohème-Bude einer greisen Weltenbummlerin“ beschrieb, wurde zum Treffpunkt vieler junger Intellektueller. Schließlich ließ sich die Pauly in politischen und ästhetischen Fragen nicht beugen, hatte sie den Mut, jedem die ungefragte Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, ob über den einstigen Nazistaat oder den sozialistischen Spitzelstaat. Ein Jahr nach dem Krieg war die 1933 in Breslau bekannt gewordene und umgehend als „Zigeunermalerin“ verfemte schlesische Künstlerin aus der nun polnisch verwalteten Heimat in das kriegszerstörte Berlin geflohen – ein sowjetischer Sonderzug für den Nachlass und den Leichnam ihres Künstlerfreundes Gerhard Hauptmann machte es möglich. Jedoch war die Frau, die stets die Fortschritte der westlichen Zivilisation kritisierte, angewidert von der technisierten Stadt. Deswegen ging die selbsterklärte Landpomeranze ins dörfliche Berlin-Friedrichshagen, kehrte erneut in die innere Emigration und verlegte ihre Aktivität aufs Schreiben – wobei sie von den zahlreichen Gedichten, Novellen, Erzählungen und Romanen nichts veröffentlichte.

Erst als 75-jährige kann sich Charlotte Pauly durch die Vervielfältigung ihrer eigenen frühen Reise-Motive als Druckgrafik, Lithografie oder Radierung noch mal einen Namen machen. Auf Anregung von Grafikerfreund Herbert Tucholski erfindet sich die stets zu Abenteuern sowie zu Direktheit und Einfachheit unterwegs gewesene Frau an der Druckerpresse noch einmal neu und gibt ihren Erinnerungen an orientalische Händler, andalusische Ernten und portugiesische Hafenarbeit am Mittelmeer eine nochmals expressivere Form. Auch neue Werke aus dem sozialistischen Ostblock entstehen etwa aus Bulgarien, wo die unkonventionelle Frau noch als 80-jährige allein per Anhalter hingelangt. Erst mit diesem Spätwerk kann sich Charlotte Pauly als eine echte Größe in der Ostberliner Kulturszene etablieren. Ihre kunstgeschichtliche Aufarbeitung findet in den 2000ern, also knapp zwanzig Jahre nach ihrem Tod 1981 statt. Doch schon 1990 sagt ihr Künstlerfreund Dieter Goltzsche: "Charlotte E. Paulys sprödes und kraftvolles Werk muss man anschauen, keine noch so engagierte Lebensbeschreibung könnte seinen Reiz erklären."[2] 

Text: Sylvie Kürsten


[1] Dieter Goltzsche in Gallen, Sieghard: Kunst in der DDR, 1990, S. 152.  

[2] ebenda.

Tourneeausstellung

Publik machen: 40 Künstler:innen aus dem Bestand des Zentrums fürs Kunstausstellungen der DDR

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